Hafenluft II
Bahnhofsstation

Sie standen nebeneinander an der Bahnstation. Sie starrte auf die Anzeige, auf welcher zu lesen war, dass der Zug in 6 min fahren sollte. Manchmal wechselte die Anzeige zu den neusten Informationen der Hochbahn. Sie wusste, dass er sie beobachtete. Jeden ihrer Atemzüge. Sie im Gegenzug tat dies auch, wenn auch nicht wirklich bewusst. Ihr Schweigen rührte nicht daher, dass sie sich nichts zu sagen hatten. Es war entstanden durch das Verlangen und die Spannung die zwischen ihnen herrschte.
„Ich bringe dich nach Hause.“ Seine sanfte und doch herrschende Stimme, brach die Stille. Mit einem Ruck drehte sie den Kopf zu ihm. Etwas trotziges lag in ihren Augen. Sie konnte alleine nach Hause fahren, sie brauchte keinen Aufpasser. Und eigentlich kannte sie ihn nicht. Doch diese Gedanken lösten sich auf, als sie ihm direkt in die Augen schaute. Diese schienen im Dunkeln zu leuchten. Doch nun waren sie ruhig und freundlich. Sie hatten nicht mehr dieses Feuer, wie vorhin auf der Hochterrasse über dem Hafen. Die Felidin blinzelte. „Danke“ antwortete sie knapp, aber bestimmend. Er lächelte zurück und bewegte seine Pfote ein Stück nach oben, ließ sie dann aber wieder sinken. Ein normaler Mensch hätte diese minimale Bewegung nicht bemerkt, doch der Katze war es nicht entgangen. Noch bevor sie darauf reagieren konnte, schallte Gelächter die Treppen zum Bahnsteig herauf. Es waren Jugendliche, welche von einer Clubtour auf dem Nachhause weg waren. Es waren zwei Falken-Jungen und zwei Mäuse-Mädchen. Das Quartett gab eine komische Truppe ab. Die Mädchen schien leicht angetrunken zu sein, denn sie kicherten ständig und torkelten ein wenig, was allerdings bei den Schuhen die sie trugen nicht unverständlich waren. „Meine Pfoten tun weh“ jammerte die eine Maus. „Soll ich dich tragen“ antwortete der Buntfalke keck, woraufhin ihre Freundin anfing zu kichern. Sie zogen an den beiden Feliden vorbei und blieben in einiger Entfernung stehen. Dann hörte man das Rattern des Zuges.
Während der Fahrt hatte sich der getigerte Kater ihr gegenüber gesetzt. Sie hätte es lieber gehabt, wenn er neben ihr gesessen hätte. Sie unterhielten sich darüber woher sie kamen und wo sie nun wohnten. Er lebte noch nicht lange in der Stadt und war wegen seinem Job hierher gezogen. Er fragte sie einige Dinge über ihr Leben. Dabei bekam er einen neugierigen Gesichtsausdruck.
Sie wollte über sein Gesicht streichen und seine Leftzen abschlecken. Sie schaute sich um. Das Abteil war fast leer. Plötzlich erklang die Durchsage der nächsten Station. „Oh wir müssen ja schon raus.“ Er lachte auf. „Ja wenn du das sagst. Ich weiß nicht wo du wohnst.“ Als sie aus der Bahnstation ins Freie traten, drehte sie sich zu ihm um. „Du musst nicht mitkommen. Es sind noch 10 min Fußweg. Das schaffe ich auch alleine.“ Er stand so nah bei ihr, dass sie ihren Kopf ein wenig in den Nacken legen musste. „Nein ich werde dich bis nach Hause bringen.“ Er lächelte wieder sein bezauberndes Lächeln. Er trat an ihr vorbei und griff nach ihrer Pfote. „Ich glaube wir müssen uns beeilen, sonst werden wir noch nass.“ Sie schaute hoch und sah, dass die Sterne verschwunden waren unter einer dunklen Wolkendecke. Trotz dass sie schnell gingen, holte sie der Schauer ein und sie mussten die letzten paar Meter laufen. Schnell atmend standen sie unter dem Vordach des Hochhauses. „Hier wohnst du also.“ Er schaute an dem Gebäude hoch. „Ich hätte erwartet, dass du in einer Villa wohnst.“ Er grinste. Seine Fell zwischen den Ohren stand hoch und sah damit frech aus. Es glänzte vom Regen. „Nein, wie kommst du darauf?“ Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel. Als sie den Schlüssel aus der Tasche zog und ihn anschaute, war er wieder da, dieser Blick, dieser erwartungsvolle neugierige Blick. Sie wollte nicht, dass er weg ginge. Er sollte bei ihr bleiben. Sie wollte, dass er sie wieder so küsste wie vorhin am Hafen und ihr den Rücken kraulte. Die Felidin steckte den Schlüssel ins Schloss und betrat das Treppenhaus. Sie sah ihn mit einem Blick an, der unmissverständlicher nicht sein konnte. Er sog ihren unverwechselbaren Duft ein und folgte ihr.